Orchideen sind mit ihren auffälligen und oft außergewöhnlich geformten Blüten beliebte Fotomotive. Das gilt auch für die relativ häufig vorkommenden Arten der Gattung Knabenkraut, und so war ich sofort begeistert, als ich in diesem Frühjahr einen dichten Bestand blühender Orchis mascula (Männliches oder Stattliches Knabenkraut) an einem meiner Lieblingswanderwege im Göttinger Wald entdeckte. Ein paar Tage warten auf das richtige Wetter und die passenden Lichtverhältnisse, und die Orchideen-Fotoexkursion konnte starten.
Ein lohnendes Ziel zu fast jeder Jahreszeit: Westerberg bei Göttingen
Der Westerberg ist eines meiner bevorzugten Ausflugsziele in der direkten Umgebung. Wie ein Finger streckt sich ein schmaler Höhenrücken etwa eineinhalb Kilometer aus dem Göttinger Wald heraus fast genau in Richtung Süden. Dadurch entsteht ein nach Westen abfallender Hang, der ab Mittag gut von der Sonne beschienen wird und so ein im Vergleich zur Umgebung wärmeres Mikroklima aufweist. Buchen, Hainbuchen und Bergahorn dominieren und die Hanglage, wie die extensive Forstwirtschaft, führen zu einem lichten Wald mit wenig Unterholz. Zusammen sind das optimale Bedingungen für zahlreiche Pflanzenarten – und für Naturfotografen.
Wenig Zeit für Bildgestaltung und Einstellung der Kameratechnik
Im Frühjahr blüht hier die ganze Palette der auf kalkhaltigen Böden vorkommenden Frühblüher: Märzenbecher, Leberblümchen, Buschwindröschen, Bärlauch in weiten Flächen, Maiglöckchen, Türkenbund – und eben auch Stattliches Knabenkraut. Zur Blütezeit des Knabenkrauts sind die Bäume schon weitgehend belaubt und beschatten den Waldboden. Durch die Hanglage und das fehlende Unterholz entsteht ein Muster aus hellen Lichtflecken, die mit der Sonne über den Waldboden wandern. Besonders am späten Nachmittag und Abend strahlt die tiefstehende Sonne bei wolkenlosem Himmel in langen Strahlen direkt durch das Laub. So ergeben sich reizvolle Lichtverhältnisse mit starken Kontrasten.
In einem besonders lichten Bereich ist der Boden dicht mit den Blättern von Bingelkraut bedeckt und auf mehreren hundert Quadratmetern ragen die violetten Blütenstände der Orchideen aus diesem grünen Pelz heraus. Vor allem dort, wo die Blüten gerade im Licht stehen, leuchten sie besonders beeindruckend gegen das dunkle Grün des Waldes.
Da sich die Lichtverhältnisse aber ständig ändern, hat man wenig Zeit ein gerade erkanntes Motiv auch auf den Sensor zu bannen. Kaum ist die Kamera eingerichtet und die richtige Belichtung eingestellt, sind Licht und Schatten schon weitergezogen und das Motiv sieht nun völlig anders und mitunter auch uninteressant aus.
Bildgestaltung und Umsetzung vorher planen
Ich überlege mir deshalb vorher, was ich hier eigentlich fotografieren will, damit ich gezielter nach entsprechenden Motiven suchen und die Bildgestaltung dann schnell entsprechend meinen Vorüberlegungen einrichteten kann.
Orchideenblüten locken mit besonders auffälligen Farben, Formen und ausgefeilten Tricks genau die Insekten an, die sie zu ihrer Fortpflanzung brauchen und sie haben eine besondere Anatomie entwickelt, diesen Insekten ihren Blütenstaub anzuheften, so dass der Pollen dann auf eine andere Pflanze übertragen werden kann. Diese faszinierenden Blütenstrukturen aber will ich heute nicht aufnehmen.
Mich interessiert vielmehr die Lichtsituation selbst, das Wechselspiel von Licht und Schatten und die Beziehung der Pflanzen zu ihrer Umwelt. Während Märzenbecher, Buschwindröschen, Bingelkraut und viele andere Frühblüher die erste wärmere Frühlingsphase nutzen, um im noch unbelaubten Wald auf dem lichten Boden ihre Blüten in dichten Teppichen auszutreiben und ihr Vermehrungsgeschäft abzuschließen, blüht das Knabenkraut erst, wenn die Bäume schon belaubt und der Waldboden schattig und dunkel ist.
Das Knabenkraut hat seine eigene Nische gefunden. Es muss nun zwar mit weniger Licht – und damit Nahrung – auskommen, dafür sind aber die Tage schon deutlich länger und wärmer und damit auch die bestäubenden Insekten viel häufiger. Vor allem aber fehlt die übermächtige Konkurrenz der flächendeckend vorkommenden Buschwindröschen, Bingelkräuter und Co. Insekten auf Nahrungssuche können die großen, auffälligen Blütenstände jetzt gar nicht mehr übersehen und die vorher so reichliche Nahrungsquelle der Frühblüher ist ohnehin versiegt. Im Meer der weißen und gelben Blüten wären auch die auffälligen Orchideen untergegangen. Erst jetzt, im schattigen, dunkelgrünen Wald, ist ihre Zeit gekommen.
Diese besondere Nische möchte ich im Foto darstellen: Die auffällige Blüte, die Lichtsituation aus ständig wechselnden hellen und schattigen Bereichen, den Kontrast der violetten Blüten zum dunkelgrünen Laub der übrigen Pflanzen auf dem Waldboden.
Tiefe Kameraposition, Makro- und Teleobjektiv
Um die Umgebung einzubeziehen wähle ich deshalb keine formatfüllenden Ausschnitte der Blüten und Blütenstände. Diese werden auch nicht völlig freigestellt und auch der Hintergrund nicht so ruhig und unscharf aufgelöst, wie nur irgend möglich.
Stattdessen platziere ich ein oder zwei Blütenstände am Rand eines Bildes und suche nach interessanten Hintergründen aus Lichtreflexen und schemenhaften Baumstämmen. Die dichte Vegetation des Waldbodens, aus der die Blüten herausragen, beziehe ich ein, indem ich die Kamera möglichst tief auf den Boden lege. Dadurch entstehen im Bildvordergrund interessant aufgelöste Laubstrukturen und unscharfe Flächen, die Ruhe und Tiefe gleichermaßen ins Bild bringen. Die Schärfentiefe ist dabei nur gerade so groß, dass die Blüten selbst scharf abgebildet werden, die Blende also komplett offen oder bestenfalls um eine oder zwei Stufen geschlossen.
Neben dem 105 mm Makroobjektiv nutze ich für die Umsetzung vor allem ein 300 mm Tele. Mit dem Teleobjektiv wird das Bild noch stärker verdichtet und das weichere Bokeh löst Lichtreflexe im Hintergrund zu schönen, großen Kreisen auf. Mit dem Makroobjektiv kann ich noch gut Freihand arbeiten und bin damit schnell und flexibel. Das 300er Tele aber muss aufs Stativ.
Die Herausforderung: Wind und hohe Kontraste
Neben den schnell wechselnden Lichtverhältnissen ist vor allem der Wind eine Herausforderung. Der nach Westen abfallende Hang liegt nicht nur wunderbar im Sonnenlicht, auch der bevorzugt aus dieser Richtung kommende Wind weht ungehindert durch den lichten Wald. Die hoch aufragenden, großen Blütenstände der Orchideen schwanken beständig. Wie zur Hölle soll man dabei ein scharfes Foto hinbekommen?
Es geht nur mit kurzen Belichtungszeiten und die ISO-Einstellung liegt deshalb trotz großer Blendenöffnung zwischen 800 und 1600. Und es geht nur mit Masse: jedes Motiv muss vielfach aufgenommen und die Schärfe ständig korrigiert werden. Am Ende wird dann hoffentlich ein Foto dabei sein, bei dem die Schärfe genau sitzt.
Ebenfalls schwierig sind die hohen Kontraste im Bild. Ohne Korrektur belichtet die Matrixmessung meist zu lange und die hellen Blütenteile werden überbelichtet und fressen aus. Hier müssen unbedingt Histogramm und Lichteranzeige kontrolliert werden. Teilweise korrigiere ich die von der Kamera gemessene Belichtungszeit um Minus 3 Blenden! Und natürlich fotografiere ich in RAW, denn nur so kann ich den Dynamikumfang meiner Kamera auch wirklich nutzen.
Video
Dieses kurze Video illustriert die schwierigen Aufnahmebedingungen.
Bilderflut
Nach fast drei Stunden ist die Sonne fast untergegangen. Leider ist es an diesem Abend nicht so klar, das die Sonne mit ganzer Kraft im Tiefstand fast flach auf den Waldboden fällt. Solche Lichtverhältnisse sind hier aber auch sehr selten.
Ich packe also ein und freue mich darauf, schon wenig später die Ergebnisse am Bildschirm begutachten zu können. Diese Arbeit sollte dann aber deutlich anstrengender werden, als erwartet, denn ganz überraschend hatte ich tatsächlich fast 500 Fotos gemacht. Und aus dieser Bilderflut wollten die wenigen Aufnahmen ausgewählt werden, die gestalterisch überzeugen und vor allem scharf geworden sind …