Normalerweise sind Wüsten Gebiete mit sehr geringem oder keinem Niederschlag. Die Trockenheit verhindert eine dauerhafte und stabile Pflanzendecke und der Boden ist nackt und ungeschützt der Verwitterung ausgesetzt. Darüber hinaus sprechen wir aber auch von „Betonwüste“ oder „Eiswüste“ und meinen damit eine karge, eintönige und lebensfeindliche Landschaft. In Wüsten können nur sehr wenige hochspezialisierte Tier- und Pflanzenarten dauerhaft leben. Wer sich ohne genügend Wasser und Nahrung in eine Wüste begibt, begibt sich in Lebensgefahr.

Trotz ihrer Lebensfeindlichkeit üben Wüsten auf viele Menschen eine große Faszination aus. Leere und Kargheit bilden einen starken Kontrast zu den vielfältigen Reizen und permanenten Anforderungen unserer gewohnten Umwelt. In unserer Kultur gelten Wüsten als Orte kontemplativen Rückzugs. Gedanken und Gefühle kommen zur Ruhe, der Blick wird frei für das Wesentliche.

In der Wüste formen allein die Urkräfte Sonne und Wind die Landschaft. Aus Felsen meißeln und schmirgeln sie Skulpturen, Geröll zerfällt über sehr lange Zeiträume zu Sand, wird verweht und zu Dünen aufgetürmt. Es dominieren die Rot-, Braun- und Gelbtöne verschiedener Gesteinsschichten und Mineralien, oft in klaren, harmonischen Linien und Flächen. So entsteht ein ästhetisches Gesamtbild. Ästhetik und Lebensfeindlichkeit bilden entgegengesetzte Pole und verstärken sich in ihrer Wirkung gegenseitig.

Agrarwüste

Rund die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt, 90 Prozent davon durch industrielle Landwirtschaft. Die industrielle Landwirtschaft hat zwar zu einer deutlichen Ertragssteigerung geführt, sie ist aber nicht nachhaltig. Die bis in die Tiefe gehende mechanische Bearbeitung mit immer schwereren Maschinen zerstört die Bodenstruktur. Kunstdünger und Pestizide beeinträchtigen die im Boden lebenden Tiere und Mikroorganismen. Die Folge: Durch Erosion geht wertvoller Boden verloren, die Fruchtbarkeit geht zurück und kann durch Düngung auch nicht wieder hergestellt werden. Experten schätzen, dass in Deutschland bereits 60 Prozent der landwirtschaftlichen Böden degradiert sind, Tendenz steigend1. Das bestätigt auch der Weizenertrag pro Fläche. Trotz anhaltender Intensivierung und Züchtung ertragreicherer Sorten stagniert der Weizenertrag seit 15 Jahren, in den letzten Jahren ist er sogar gesunken2.

Industrielle Landwirtschaft bedeutet heute: Es wachsen ausschließlich die angebauten Nutzpflanzen, alle anderen Pflanzen sind Unkräuter. Auch die meisten anderen Organismen, wie Bakterien, Pilze und Tiere, gelten als Krankheitserreger oder Schädlinge und werden wie die Unkräuter mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft. Um maximale Erträge zu erzielen wird nach Möglichkeit die gesamte zur Verfügung stehende Fläche zum Anbau genutzt. Gewässer, Bäume, Hecken, Sträucher und krautige Randstreifen werden umgebrochen und entfernt, kleinere Parzellen zu immer größeren Feldern zusammengelegt. Die Landschaft verarmt und weist immer weniger unterschiedliche Strukturen auf.

Auf Grünland ist die Situation nicht besser. Hier werden Gräser als Futter für den Viehbestand angebaut, gedüngt wird überwiegend mit der vom Vieh produzierten Gülle. So wird soviel Heu und Silage wie irgend möglich aus der „Wiese“ herausgeholt. Meist wird mehr Gülle ausgebracht, als von den Pflanzen aufgenommen werden kann. Beliebt ist die Ausbringung unmittelbar vor Regenfällen, damit die Gülle besser in den Boden einsickert. Die Karte der Nitratbelastung des Grundwassers ist weitgehend deckungsgleich mit der des Viehbestands3.

Die industrielle Landwirtschaft hat gut 50 Prozent der Fläche Deutschlands in eine lebensfeindliche Wüste verwandelt. Außer den angebauten Nutzpflanzen finden hier kaum andere Tier- und Pflanzenarten noch einen Lebensraum. Die Verwandlung unserer Landschaft in eine Agrarwüste ist der Hauptgrund für den dramatischen Rückgang der Artenvielfalt in den letzten Jahrzehnten4. Das letzte Biodiversitätsmonitoring unserer Agrarlandschaft von 2017 ergab, dass lediglich 11,4 Prozent der Fläche einen hohen Naturwert aufweist. 2009 waren es noch 13,1 Prozent5. Diese Entwicklung ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich in unseren Städten immer mehr Wildtiere ansiedeln.

Schön und schrecklich zugleich

Trotz ihrer Lebensfeindlichkeit wirkt auch die Agrarwüste auf viele Menschen ästhetisch. In ihrer strukturarmen Kargheit dominieren eckige Flächen, rechte Winkel und gerade Linien, Elemente, die in der Natur nur selten vorkommen. Sie zeugen von der Gestaltungskraft des Menschen und bestätigen seine Herrschaft über die Natur. Ihr zerstörerischer Charakter bleibt dahinter verborgen.

Und dennoch gilt auch für die Agrarwüste: Lebensfeindlichkeit und Schönheit bilden für den Betrachter entgegengesetzte Pole, die einander verstärken.

Die hier vorgestellen Fotos versuchen den inneren Widerspruch zwischen Schrecken und Schönheit sichtbar zu machen und unsere Agrarlandschaft als das zu entlarven, was sie ist: Eine lebensfeindliche Wüste.

 

 

Quellen

1) Sind unsere Äcker noch zu retten? Terra X Podcast, https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/alle-folgen-terra-x-der-podcast-100.html

2) https://www.tilasto.com/thema/geographie-und-landwirtschaft/ernte/weizen/weizen-ertrag
3) https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/grundwasser/nutzung-belastungen/faqs-zu-nitrat-im-grund-trinkwasser

4) https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft/gefaehrdung-der-biodiversitaet

5) https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft/gefaehrdung-der-biodiversitaet